Jahrbuch für öffentliche Finanzen (JöFin)

10. Workshop des Jahrbuchs am 22./23.09.2017
Tagungsbericht

Impulse für den Föderalismus

Im Mittelpunkt des 10. Jahrbuch-Workshops am 22./23.9.2017 im Augustinum der Universität Leipzig stand die Sorge um die Auswirkungen der Neuordnung der Bund-Länderfinanzbeziehungen (BLF), die kurz vor Ende der 18. Legislaturperiode noch beschlossen worden ist.
Den Auftakt gab das Referat von
Prof. Dr. Horst Zimmermann, Marburg, der die These Konrad Hesses vom unitarischen Bundesstaat aus dem Jahre 1962 als Ausgangspunkt nahm, um die jüngste (Fehl-) Entwicklung auf den Begriff zu bringen. Kritische Ansatzpunkte waren ihm u.a. die weitere Entfernung vom Ideal des Wettbewerbsföderalismus mit steuerlichen Hebesatzrechten der Länder oder auch die Formen der Selbstkoordination wie in der KMK. Ihm folgte Prof. Dr. Wolfgang Renzsch (Magdeburg/Berlin) mit dem entgegengesetzten Bild eines funktionalen Föderalismus, mit dem er an Beispielen von Kanada und USA die Notwendigkeit von Finanzausgleichen plastisch demonstrierte. Manuela Barisic (Bertelsmann Stiftung) stellte eine aktuelle Studie mit einem Wirkungsmodell öffentlicher Investitionen vor, die für eine drastische Steigerung der Investitionen namentlich in den Bildungsbereich argumentierte und damit Kritik am herrschenden Investitionsniveau unterlegte. Ein Höhepunkt der Tagung war der Beitrag von Dr. Matthias Haß (BMF), der die Neuordnung der Bund-Länderfinanzbeziehungen aus Sicht des Bundes reflektierte und die Schwächung der Länderkompetenzen (Sklerose) beklagte. Die Verhandlungen seien dominiert worden von einer kleinen Gruppe und er warf die Frage auf, wo die westdeutschen Nehmerländer eigentlich gewesen seien? Auch die Interessen der ostdeutschen Länder seien nur schwer auffindbar im Verhandlungsergebnis, das eher als „Durchgangsstadium“ zu deuten sei. Haß berichtete von Überlegungen des BMF, ein „föderales Forum“ einzurichten, um die qualifizierte politische Diskussion des Föderalismus neu zu beleben. In der von Prof. Dr. Thomas Lenk (Leipzig) moderierten Diskussion wurde u.a. hervorgehoben, dass die Länder ihr Modell der BLF dem Bund aufzwingen konnten, was als Beleg für die Stärke des Föderalismus gedeutet werden könne; die Selbstkoordination sei positiv zu deuten und es wurde an das Scheitern der Modelle zur Steuerautonomie (zuletzt 2003) erinnert.

Die Abteilung zu den Kommunalfinanzen eröffnete
Dr. Felix Rösel (Ifo Dresden) mit der Vorstellung einer Untersuchung zu den Stadtfinanzen in Westdeutschland seit 1950 und dem interessanten Befund, dass Bevölkerungsschwund die Stadtkasse stärker belastet als -zuwachs. Im folgte Dr. Matthias Woisin (Hamburg) mit einer heiteren Schilderung der Verhandlungslösung zur Mittelkonzentration auf die finanzschwachen Kommunen im Verwaltungsabkommen zum Kommunalinvestitionsfördergesetz. Prof. Dr. Achim Truger (HWR Berlin) zeigte auf, dass sich regionale Globalisierungsgewinner und -verlierer auf kommunaler Ebene identifizieren lassen und schlug einen finanziellen Ausgleich vor. Von der Entschuldung der Kommunen mit übermäßigen Kassenkrediten in Hessen berichtete Dr. Jürgen Dieter (hess. Städtetag) unter dem Stichwort „Hessenkasse“ grundsätzlich zustimmend, auch wenn damit indirekte Umverteilungseffekte zulasten strukturstarker Städte verbunden seien. Dr. Marc Seuberlich (Stat. Bundesamt) präsentierte Befunde, nach denen die Länder u.a. auch durch Professionalisierung und Verkleinerung der kommunalen Gremien einen Beitrag leisten könnten. Daran konnte Prof. Dr. Martin Junkernheinrich (TU Kaiserslautern) unmittelbar anknüpfen und entwarf Bedingungen für einen „bail-out“, unter denen der „ordnungspolitische Sündenfall“ hingenommen werden könne.

Die von
Dr. Henrik Scheller (DIfU) moderierte europapolitische Abteilung eröffnete Dr. Thieß Petersen (Bertelsmann Stiftung) mit einem Plädoyer für den Abbau des deutschen Leistungsbilanzüberschusses durch Steigerung der Importe. Dagegen setzte sich Ulf Meyer-Rix (Berlin) mit der Diskussion des deutschen Leistungsbilanzüberschusses auseinander, der von alles drei Sektoren (Wirtschaft, Staat und Privathaushalte) erzeugt werde – am wenigsten allerdings von den privaten Haushalten. Erst in jüngster Zeit sei zu beobachten, dass zumindest bei den Vertretern der Wirtschaft die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse problematisiert würden.

Die Abteilung zur Finanz- und Haushaltspolitik, moderiert von
Prof. Dr. Stefan Korioth (LMU Mün-chen), startete noch am ersten Verhandlungstag mit einem Beitrag von Carolin Fritzsche (Ifo Dresden) über den Versuch, Wohlfahrtsverluste nachzuweisen, die durch Anhebung der Grundsteuern der Länder entstanden seien. Der Beitrag lieferte einen passenden Spannungsbogen zur Forderung nach Steuerautonomie der Länder am Tagungsbeginn. Kritik kam aus den Großstädten wegen der auf Eigenheimhandel beschränkten empirischen Basis. Mit einer kritischen Reflexion des Beschlusses des BVerfG zur Kernbrennstoffsteuer setzte Prof. Dr. Lars Hummel am zweiten Verhandlungstag den Themenkreis fort. Ihm ging es um Risiken und Nebenwirkungen des Bescheides aus Karlsruhe für Steuerfindung und Abgabenerhebung in der Haushaltspraxis. Angesichts der inhaltlichen und formalen Mängel des Beschlusses, wurde in der Diskussion eine Abkehr von der rechtspositivistischen Rezeption der Karlsruher Beschlüsse gefordert.

Einen Einblick in die Umsetzung der neuen Forschungs-BEZ nach der BLF-Neuordnung in der GWK gewährte
Dr. Marc Brüser (Wissenschaftsministerium RP). Die Befürchtung von Fehlanreizen wies er zurück, vielmehr sah er darin eine willkommene Haushaltsentlastung, die die Fachseite vollständig für sich beanspruchen werde. Abschließend referierte Désirée Christofzik (wiss. Stab des Sachverständigenrates) Kernaussagen des neuen Gutachtens zur Finanzlage der Gebietskörperschaften. Der SVR fordere eine Steigerung der Investitionen bei Fortsetzung des Schuldenabbaus ohne Steigerung der Staatsquote, mithin Absenkung der konsumtiven Ausgaben. Nachfragen gab es zu dem Befund, dass in den doppisch buchenden Kommunen vielfach nur ein „fiktiver“ Ausgleich festzustellen sei.
Die Tagung fand ihren Ausklang mit der Abteilung „Projektgespräch“, in der Mitherausgeber
Dr. Matthias Woisin die Abläufe und Termine der kommenden Jahrbuch-Projektion bekanntgab. Aus dem vorgeschalteten Treffen der Länderbericht-Autoren von Freitagvormittag berichtete er von Autorenwechseln, u.a. sei wegen seiner Berufung zum Chef der Staatskanzlei in Kiel der Kollege Dirk Schrödter ausgeschieden, ebenso nach langjähriger Autorenschaft Dr. Andreas Mathes (RH Hessen). Beiden wurde mit Applaus gedankt. Inhaltlich wurde berichtet, dass die Themen „Überschussverwendung“, Haushaltsüberwachung durch den Stabilitätsrat sowie die Kostenexplosion im IT-Bereich besonders aufmerksam in den Länderberichten verfolgt werden sollen.
Prof. Dr. Thomas Lenk schloss als Hausherr die Tagung mit einem Dank an das Organisationsteam, namentlich an Philipp Glinka, an die Sparkasse Leipzig als Hauptsponsor und versprach für den 11. Workshop eine Führung durch den prachtvollen Neubau des Paulinums.
Gesellschaftlicher Höhepunkt der Tagung war wie jedes Jahr das festliche Abendessen in den Räumen der Hauptverwaltung der Bundesbank in Leipzig auf Einladung von
Dr. Hubert Temmeyer.

Programm






Verlag

Das Jahrbuch für öffentliche Finanzen erscheint als Zeitschrift zweimal jährlich im Berliner Wissenschaftsverlag. Es wird betreut vom Lehrstuhl Finanzwissenschaft der Uni Leipzig.
Kontakt: redaktion[at]joefin.de
Projekt

Das Jahrbuch ist ein interdisziplinäres Projekt aus Rechts-, Finanz- und Politikwissenschaft sowie der Verwaltungspraxis. Das Projekt ist unabhängig, ehrenamtlich und wird gefördert von der Bundesbank.
Interesse

Im Vordergrund stehen die Landes- und Gemeindehaushalte sowie die föderalen Finanzbeziehungen.