Jahrbuch für öffentliche Finanzen (JöFin)

18. Workshop des Jahrbuchs am 5./6.09.2025

18. Workshop in Leipzig

Krisenspannung in entspannter Atmosphäre

Selten zuvor sah sich ein Workshop so rasanten Veränderungen des politischen Umfeldes gegenüber wie der 18. Jahrbuch-Workshop vom 5./6.9.2025 in Leipzig. Schon der Titel der zweitägigen Tagung
„Staatsmodernisierung in Zeiten von Sondervermögen und Investitionsboostern – zwischen neuen Verteilungsherausforderungen, Bürokratieabbau und wachsendem Populismus?“ benannte zahlreiche Stühle, zwischen denen föderale Haushalts- und Finanzpolitik derzeit Platz nehmen kann. Seit dem letzten Workshop gab es nicht nur das Ende der Ampel-Regierung in Berlin, sondern auch die Reformulierung der Schuldenbremse, eine neue Koalitionsregierung und eine neue Reform-Agenda inmitten einer langanhaltenden Rezession mit brachialen fiskalischen Auswirkungen nicht nur auf die Gemeindeebene, die noch nie so tief in den roten Zahlen steckte wie gegenwärtig.

Dr. Mario Hesse (Uni Leipzig) begrüßte am 5.9.25 rd. sechzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Vortragssaal der Bibliotheca Albertina und entschuldigte den urlaubsbedingt abwesenden Emeritus Prof. Lenk.

In seiner Anmoderation wünschte
Dr. Matthias Woisin von der Konferenz Orientierung und Optimismus, denn in der vorgeschalteten Autorenbesprechung habe es vor allem sorgenvolle Bemerkungen gegeben. So deute sich an, dass der Bund die Diskussion zur Veranlassungskonnexität nutzen wolle, um Ansprüche aus dem Deckungsquotenvergleich herzuleiten. Prof. Dr. Carsten Kühl eröffnete sodann das Panel zur Staatsmodernisierung mit der Forderung nach Bereitschaft für mehr Zentralisierung etwa bei der Digitalisierung, ohne dem ideologisch motivierten Ruf nach „weniger Staat“ zu folgen. Damit seien die praktischen Probleme nicht zu lösen, wenn etwa die Kommunen nur ca. 63% ihrer etatisierten Mittel aufgrund von Planungsengpässen umsetzen könnten. Ihm folgte Stefan Anton mit der Forderung nach einem neuen Politikmodell, da künftig keine Wachstumszuwächse mehr zu verteilen seien. Gegenwärtig seien nicht einmal mehr gemeinsame Problemwahrnehmungen möglich. Sein Beitrag führte zu kontroversen Wortmeldungen u.a. von Truger, Scheller und Heinemann. Mit dem „China-Schock 2.0“ beunruhigte Ulf Meyer-Rix das Plenum mit einer Darstellung des exorbitanten Wachstums der chinesischen Wirtschaft insbesondere in Relation zur fortgesetzten „Corona-Stagnation“ in Deutschland. Ihm ging es vor allem um die zunehmend politisch willkürlich gesetzten Rahmenbedingungen (Zölle) für die Wirtschaft, für die es keine automatischen Stabilisatoren gebe. Volker Halsch präsentierte Anforderungen an die Umsetzung des Investitionssondervermögens (u.a. Investitionsbeirat im BMF). Der Verweis auf den politisch bedeutsamen „Mittelabfluß“ stieß auf Vorbehalte der Praktiker.

Dr. Anja Ranscht-Ostwald moderierte das nachfolgende Panel zu den neuen Verschuldungsregeln und zum wachsenden Populismus. Dazu referierte zunächst Dr. Thieß Petersen und betonte, dass die Regierungspolitik insbesondere ökonomischer Unsicherheit mit den Mitteln der Sozial- und Wirtschaftspolitik zu begegnen habe. Ihm folgte Prof. Dr. Tom Krebs, der das Plenum mit einer zeitlichen Gegenüberstellung der Zustimmungswerte von AfD und SPD konfrontierte. Die sprunghafte Zunahme für die AfD führte er auf Fehlentscheidungen der Bundesregierung bei der Strom- und Gaspreisbremse zurück. Der teils deutliche Widerspruch aus dem Plenum (u.a. Korioth) konnte ihn nicht überraschen. Seine Erklärung sei eindimensional und bedürfe weiterer Faktoren. Jedenfalls wurde in der Diskussion offenbar, von welchem Rang finanz- und wirtschaftshistorische Beobachtungen sein können. Dagegen setzte Prof. Dr. Achim Truger mit der Hoffnung auf einen nahen Wirtschaftsaufschwung, der zumindest nicht ausgeschlossen sei, einen fast schon optimistischen Akzent. Er konzentrierte sich auf konstruktive Vorschläge zur Weiterentwicklung der Schuldenbremse, die jedoch hinsichtlich Vereinfachung und Entbürokratisierung eher weniger überzeugen konnten. Nachfragen gab es auch noch in der Pause zu seinem Vorschlag einer kommunalen Konjunkturkomponente bei der Konjunkturbereinigung. Auf ein traditionelles Feld der Verteilungsauseinandersetzung führte dann Prof. Dr. André W. Heinemann mit einem Argument zum Finanzkraftausgleich der Länder: Die fiskalischen Rückflüsse aus privaten Investitionen seien bei den Zahlerländern deutlich höher als bei den Empfängern. Mit einer Kritik an der Praxis der „Verteilungssymmetrie“ zulasten der Kommunen und insbesondere der Landkreise schloss sich Jochen-Konrad Fromme an. Sein Ausgangspunkt war der Konnexitätsgrundsatz, der mit der Föderalismusreform I Einzug in das Grundgesetz gehalten hat. Seinen verfassungsrechtlichen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Länderpflicht zur auskömmlichen Finanzausstattung ihrer Kommunen widersprach in der Diskussion „in allen Punkten“ Stefan Korioth.
Die Moderation des folgenden Panels zum Bundeshaushalt übernahm
Dr. Henrik Scheller. Mit einem kritischen Blick auf den Haushalt im Lichte der Grundgesetzänderungen eröffnete Dr. Tobias Hentze und zeigte auf, wie sich der Bund zusätzliche Haushaltsspielräume verschafft hat. Die Zinsperspektive des Bundes wirft allerdings die Frage der Nachhaltigkeit mit einer gewissen Drastik auf. Zur Reformbedürftigkeit des Sozialstaates konnte Dr. André Jethon, Kämmerer in Lünen, die Entwicklung bei der Eingliederungshilfe vortragen. Das Thema wurde erstmals im 9. Workshop (2016) anlässlich der Einführung des Bundesteilhabegesetzes wegen des absehbaren Finanzrisikos aufgegriffen und lässt seither die Szene nicht mehr ruhen. Mittlerweile ist das Volumen der Eingliederungshilfe auf fast 30 Mrd. € explodiert und längst nicht mehr steuerbar - in NRW ein Sprengsatz für die kommunalen Haushalte. Jethon fordert eine Bundesauftragsverwaltung und Neuordnung der Finanzströme. Außerdem stellt er das Vereinbarungsprinzip in Frage.

Der Samstag widmete sich ausschließlich kommunalen Themen unter der Moderation von
Prof. Dr. Stefan Korioth. Zunächst ging Prof. René Geißler den Ursachen des dramatischen Defizits der Gemeinden anhand der Kassenstatistik nach (Inflation, Konjunktur, Fluchtmigration). Etwas überraschend war der Befund des explodierenden Sachaufwands (+61%) und der Personalvermehrung (+16% ab 2018). Die Investitionsausgaben seien noch steigend. Allerdings hätten die Kommunen die schwersten Belastungen wahrscheinlich noch vor sich. Das Plenum diskutierte angeregt, Statements u.a. von Stefan Anton und Nachfragen von Barbara Meyer. Prof. Dr. Isabelle Jänchen berichtete aus einem Forschungsprojekt zum Verhältnis von Gewerbe- zum kommunalen Anteil an der Einkommensteuer und konnte zeigen, dass nur in ca. 30% der Gemeinden die Gewerbesteuereinnahmen höher als die EK-Steueranteile sind. In der Diskussion fiel der Hinweis auf die notwendige Relativierung durch die Einwohnerzahlen. Aus einem Projekt für das Institut der Rechnungsprüfer zum zukünftigen Profil der öffentlichen Finanzkontrolle berichtete Prof. Dr. Claudia Lubk. Die stärkere Betonung von Beratung statt „Erbsenzählen“ scheint der Entwicklungspfad zu sein. Sehr konkret wurde es dann – wie gewohnt – mit dem Vortrag von Dr. Ulrich Keilmann zu kommunalen Schwimmbädern mit örtlichen Beispielen. Seine Ansatzpunkte zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit von Schwimmbädern bis hin zur Neuordnung der Trägerschaft zeigten, dass der Rechnungshof in Hessen Finanzkontrolle schon länger mit konstruktiver Beratung verbindet. Die Diskussion verlief in Teilen kontrovers, denn in einem Beitrag wurde beklagt, dass die Schwimmbäder keine Lobby hätten, worauf Barbara Meyer (Kämmerin Saarbücken) heftigen Widerspruch erhob. Die Schwimmbäder in den Kommunen seien politisch praktisch unantastbar. Mit dem Deutschlandticket konnte Dr. Oliver Mietzsch ein weiteres Thema aufrufen, das die Bundespolitik mit ungelösten Fragestellungen an die kommunale Praxis weiterreicht: Das bundesweit gültige Ticket erfordert ein finanzielles Clearing unter den 77 beteiligten Verkehrsverbünden. Dessen praktische Organisation gerät aber in Widerspruch zur EU-Richtlinie zu Finanzdienstleistungen und macht die Geschäftsführungen angreifbar. BMF und Bafin kennen das Problem, aber liefern keine Lösung. Erforderlich sei dringend eine gesetzliche Grundlage, um einen ansonsten kostenträchtigen bürokratischen Aufwand zu vermeiden. Von den Länderfinanzministerien sei bislang keine Bundesratsinitiative bekannt. Einem praktischen Aspekt kommunaler Investitionen ging anschließend Anna Wasmer nach, die in einem Projekt der Schader-Stiftung den Handlungslogiken im Bereich der Gebäudemodernisierung nachging. Sie plädierte dafür, sich des „Klein-Klein“ in den Planungs- und Umsetzungsverfahren genau anzunehmen. Abschließend lieferte Dr. Dominik Frankenberg (Thünen-Institut) Ansatzpunkte für kommunale Wertschöpfungspotenziale im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien. Dabei zerlegte er analytisch einen mittlerweile kaum noch zu durchschauenden Dschungel an Finanzströmen, die die Energiepolitik insbesondere mit dem EEG erzeugt hat. Dass Bayern pro Einwohner mit 340 € / pro Einwohner von diesem System profitiert, war noch das eingängigste Datum.

Dr. Matthias Woisin und Mario Hesse entließen das erschöpfte Auditorium in den Leipziger Sommernachmittag mit einem Ausblick auf die Abläufe für die nächsten Ausgaben und der Einladung zur Präsentation des Bandes 2-2025 am 8.12.25 nach Erfurt sowie für 1-2026 am 23.6.26 nach Berlin in den Landkreistag. Großer Dank gebührt dem Leipziger Team um Mario Hesse mit Fabio Lennart Botta und Katharina Dziurla, die auch ihr Improvisationstalent glänzend unter Beweis gestellt haben.

Programm des 18. Workshop

Präsentationen:

Prof. Dr. Carsten Kühl
Stefan Anton
Ulf Meyer-Rix
Volker Halsch
Dr. Thieß Petersen
Prof. Dr. Tom Krebs
Prof. Dr. Achim Truger
Prof. Dr. André Heinemann
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Tobias Hentze
Dr. André Jethon
Prof. René Geißler
Prof. Dr. Isabelle Jänchen
Dr. Ulrich Keilmann
Dr. Oliver Mietzsch
Anna Wasmer
Dr. Dominik Frankenberg
Dr. Matthias Woisin





Matthias Woisin. 9.9.2025





Einladung zum 18. Workshop in Leipzig

Der 18. Workshop des Jahrbuchs für öffentliche Finanzen wird am 5. und 6. September 2025 in Leipzig stattfinden unter dem Thema

Staatsmodernisierung in Zeiten von Sondervermögen und Investitionsboostern – zwischen neuen Verteilungsherausforderungen, Bürokratiekritik und wachsendem Populismus?

Diesmal wird der Workshop in der Bibliotheca Albertina, Beethovenstraße 6, im großen Vortragssaal im Erdgeschoss seinen Ort finden. Das Programm wird zeitnah veröffentlicht.

Einladung mit allen Informationen hier



18. Workshop 2025 wird vorverlegt

Der ursprünglich für den 19./20.9.25 vorgesehene 18. Workshop in Leipzig wird verlegt auf den 5./6.9.25. Grund sind die exorbitant angehobenen Hotelpreise just in der traditionellen Tagungswoche Ende September. Damit verbunden ist auch ein Ortwechsel in den Vortragssaal der Bibliothek Albertina, in dem die workshops bis 2013 stattgefunden haben.




Verlag

Das Jahrbuch für öffentliche Finanzen erscheint als Zeitschrift zweimal jährlich im Berliner Wissenschaftsverlag. Es wird betreut vom Lehrstuhl Finanzwissenschaft der Uni Leipzig.
Kontakt: redaktion[at]joefin.de
Projekt

Das Jahrbuch ist ein interdisziplinäres Projekt aus Rechts-, Finanz- und Politikwissenschaft sowie der Verwaltungspraxis. Das Projekt ist unabhängig, ehrenamtlich und wird gefördert von der Bundesbank.
Interesse

Im Vordergrund stehen die Landes- und Gemeindehaushalte sowie die föderalen Finanzbeziehungen.