Jahrbuch für öffentliche Finanzen (JöFin)

17. Workshop des Jahrbuchs am 20./21.09.2024

17. Workshop in Leipzig:
Erfolgreiche Arbeitstagung: Harte Themen für harte Zeiten

Unter dem etwas sperrigen Titel "Finanz- und Haushaltspolitik im Bundesstaat – neue Dilemmata der Haushaltsgestaltung zwischen Konstitutionalisierung, Bürokratisierung und der Suche nach
Prof. Dr. Thomas Lenkparlamentarischen Mehrheiten" hatten die Herausgeber und die Herausgeberin des Jahrbuchs zum 17. Workshop am 20. und 21. September 2024 in das Neue Augustinum der Universität Leipzig geladen. Mehr als siebzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren angereist, um knapp dreißig Beiträge zu hören und zu diskutieren. Für Prof. Dr. Thomas Lenk als Gastgeber war dies der letzte Workshop vor seiner Emeritierung, die aber keinen Abschied vom Jahrbuch bedeuten werde. Dessen Kontinuität sei gesichert.

Die Konferenz setzte vielfach die thematischen Ansätze des Vorjahres fort, insbesondere hinsichtlich der öffentlichen Investitionsbedarfe und der Reformdebatte zur Schuldenbremse, allerdings war der Tenor der Beiträge weniger "raumgreifend", bescheidener, konkreter und damit in gewisser Weise härter. Auffallend war dabei die hohe Beteiligung jüngerer Kolleginnen und Kollegen, mit der sich ein Generationswechsel ankündigt. Dem Rechtswissenschaftler
Lukas Märtin (Humboldt-Universität Berlin) fiel die Aufgabe zu, den Workshop zu eröffnen mit einem Plädoyer für eine Repolitisierung der öffentlichen Kreditaufnahme und gegen eine Überforderung des Rechts und der Rechtsprechung mit Fragestellungen, die genuin politisch zu entscheiden seien. Die Hoffnung auf das Recht habe sich nicht erfüllt. Damit war der Ton der Bescheidenheit gesetzt, der sich dann fortsetzte mit einem Zwischenruf von Dr. Christian Pfeil (FM Saarland) und Dr. Christian Thater (FM Thüringen), die aus der Haushaltspraxis heraus davor warnten, der Finanzpolitik jenen Halt zu verweigern, mit dem sich Odysseus am Mast noch dem Gesang der Sirenen erwehren konnte. Die Regierungen dürften nicht aus der Not entlassen werden, sachliche Prioritäten zu setzen. Tobias Hentze (Co-Autor Martin Beznoska) vom Institut der Deutschen Wirtschaft erläuterten Reformkonzepte für die öffentliche Kreditaufnahme, die neue politische Optionen eröffnen könnten - von der Beseitigung des Investitionsstaus bis zu Steuersenkungen. Den Ort für ihre teilweise sehr technischen Vorschläge sehen sie weniger in der Verfassung als einfachgesetzlich. Leonard Mühlenweg (Dezernat Zukunft) setzte sich methodenkritisch mit einer aktuellen Studie von Lars Feld auseinander, die mit großer Medienresonanz die geltende Schuldenbremse als erfolgreich darstellt. Mit Dr. Matthias Kollatz und Thorsten Schramm - beide von PD-Berater der öffentlichen Hand - meldete sich die finanzpolitische Praxis zu Wort, die unter gegebenen Bedingungen nach Handlungsspielräumen suchen muss. Sie plädierten für eine Abkehr von der Zuschuss- hin zur Darlehensfinanzierung und konnten dabei eindrucksvoll auf eine jahrzehntelange bewährte Praxis verweisen (z.B. Wohnungsbaukreditanstalten). Zur neuen Umgebung zählen seit der "Zeitenwende" auch Teuerungswellen und neue Inflationsrisiken. Jan-Erik Thie (IMK) konnte zeigen, dass die Energiepreise ausschlaggebende Faktoren sind und mit der neuen CO2-Bepreisung (ETS2) ein erhebliches und kaum abschätzbares Inflationsrisiko auftreten wird. Schon deshalb seien massive Investitionen im Rahmen der Klimatransformation zwingend. In diesem Zusammenhang kann sich der Fachkräftemangel als erhebliches Hindernis in der Umsetzung erweisen, wie Volker Halsch (PWC) erläuterte, der anknüpfen konnte an seine Darstellung beim 15. Workshop 2022. Die öffentliche Genehmigungspraxis wird nicht zuletzt unter dem Stichwort Bürokratieabbau politisch diskutiert. Prof. Dr. Isabelle Jänchen (Hochschule Meissen) verwies als praktisches Instrument zum Bürokratieabbau auf die Normenkontrollräte und verglich dabei den des Bundes mit dem sächsischen NKR, der sich als entwicklungsbedürftig zeigte. Das Panel wurde abgeschlossen von Maike Roth, einer Studentin von Co-Autor Prof. Dr. Salvatore Barbaro (Uni Mainz), die ein Umfrageexperiment unter Studierenden vor und nach einer Föderalismus-Vorlesung präsentierte.
Im zweiten Panel, das die Bund-Länder-Finanzen in den Blick nahm und von
Dr. Anja Ranscht-Ostwald moderiert wurde, stand zunächst der Finanzkraftausgleich im Vordergrund. Prof. Dr. Stefan Korioth (LMU München) nahm zum laufenden Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Stellung, das die bayerische Landesregierung derzeit betreibt. Die Antragsschrift berühre nahezu ausschließlich Punkte, die in früheren Verfahren bereits geklärt worden seien. Derzeit laufe die zweite Runde der Stellungnahmen und für den weiteren zeitlichen Verlauf ließen sich kaum Prognosen machen. Kritisch bemerkte er, dass die wesentliche Wirkung des Verfahrens darin bestünde, drängenden Reformbedarf auf Jahre aufzuschieben, weil die Politik die Rechtsprechung abwarten werde. Anschließend präsentierte Prof. Dr. Thomas Lenk (Uni Leipzig) (Co-Autoren Christian Bender und Fabio Botta) eine finanzwissenschaftliche Kritik der bayerischen Klage, die ausschließlich eigene finanzielle Interessen verfolge. Mit Prof. Dr. Carsten Kühl (DIfU) nahm das Panel eine konstruktive Wende, indem er ein bewährtes Instrument zur Bund-Länder-Kooperation aufgriff und die Gründung einer Gemeinschaftsaufgabe "Kommunaler Klimaschutz" vorschlug. Dabei verwies er auf die erfolgreiche Praxis bestehender und früherer GA, wie z.B. die GA Hochschulbau, die der Organisation von Förderprogrammen deutlich überlegen sei. Falk Streubel berichtete anschließend von den Bemühungen um eine ziel- und wirkungsorientierte Haushaltsführung im Bundeshaushalt.
Unter der Moderation von Dr. Henrik Scheller wandte sich das dritte Panel einer Reihe von bekannten Dauerbaustellen zu. Den Anfang machte
Dr. André Jethon (Kämmerer Lünen) mit den Sozialausgaben und hier speziell der Kostenexplosion bei der Eingliederungshilfe. Er zeigte, wie die unterschiedlichen Verfahren zur Kostenteilung mit den Ländern eine bundeseinheitliche Interessenlage und -artikulation auf kommunaler Seite behindert. Einen interessanten Effekt im Ost-West-Verhältnis konnte Prof. Dr. Andreas Burth (Ostfalia Hochschule Salzgitter) im Gewerbesteueraufkommen aufzeigen, bei dem Sachsen allmählich die finanzschwächsten Westländer zu überholen beginne. In der Diskussion relativierten die sächsischen Kollegen allerdings diesen hoffnungsfrohen Befund als (Leipziger) Einzelfall. Bereits in früheren Workshops hatten Dr. Andreas Kallert und Dr. Simon Dudek (beide Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt) Untersuchungen zu kommunalen Konsolidierungs- und Entschuldungsprogrammen namentlich in Bayern vorgestellt. Diesmal konzentrierten sie sich auf Konsolidierungsmaßnahmen in kleineren Kommunen und zeigten auf, dass eine häufige Wirkung von Kürzungen freiwilliger Leistungen nicht in finanzieller Entlastung, sondern in nachhaltiger Verbitterung der ehrenamtlich Engagierten in den Gemeinden besteht. Ihnen folgte der Politikwissenschaftler Benjamin Garske (FernUni Hagen) mit einer Kritik der Politik der bilanziellen "Isolierung" der finanzwirtschaftlichen Schäden durch die Covid-Epidemie in den nordrhein-westfälischen Haushalten. Die Folge sei eine dauerhafte und demokratieabträgliche Verschleierung der kommunalen Haushaltslage.
Am frühen Vormittag des Samstag widmete sich das vierte Panel der Makoökonomie und der europäischen Finanzarchitektur unter der Moderation von Prof. Dr. Thomas Lenk. Den Auftakt bildete die Leitfrage von
Ulf Meyer-Rix (Berlin), weshalb Deutschland nach der Covid-Epidemie wirtschaftlich nicht wieder richtig in Schwung käme? Das Wachstum dümpele vor sich hin, bliebe hinter USA und China zurück und die Energiepreise seien nur eine schwache Ausrede. Er riet, den Draghi-Report und die angelsächsische Kritik an der Exportlastigkeit ernst zu nehmen. Daran konnte Thieß Petersen (Bertelsmann-Stiftung) nahtlos anküpfen, der den Abschied vom Export-Modell für zwingend hält, um die bisherigen Leistungsbilanzüberschüsse für die Transformation mobilisieren zu können. Mit den neuen EU-Fiskalregeln setzte sich Prof. (em.) Dr. Jan Priewe abwägend kritisch auseinander und zeigte, wie der Reformanspruch realpolitisch begrenzt wurde. Sein Vortrag führte zu interessierten Nachfragen, weil die neuen EU-Regeln nicht als transparent gelten können. Auch die Klima-Politik hat eine europäische Dimension: Die Gefahren, die von der CO2-Bepreisung durch die ETS2-Zertifikate ausgehen können, werden komplettiert durch die kaum durchschaubaren Finanzströme, die durch sie erzeugt werden, wie Sara Holzmann (Bertelsmann-Stiftung) anschaulich aufzeigte. Im Anschluß präsentierte Prof. Dr. Friedrich Heinemann (ZEW) ein Projekt zur Evaluation der Projekt-Evaluierungen aus der EU-Kohäsionspolitik. Dass diese Evaluierungen von überwiegend nationalen Agenturen zumeist Selbstlobetexte hervorbringen, durfte bislang schon vermutet werden. Heinemann zeigte, wie mit künstlicher Intelligenz und Chat-GBT mehr als zweieinhalbtausend Berichte systematisch überprüft werden konnten. Mit dem Vortrag von Dr. Thomas Schwab (Bertelsmann-Stiftung) folgte dann eine kritische Bestandsaufnahme des status quo der europäischen Kohäsionspolitik. Dr. Matthias Brachert (IW Halle) diskutierte die Wirkung öffentlicher Investitionsförderung mit ihrer vulnerablen Flanke- zielt sie auf vermehrte Beschäftigung, senkt sie statistisch die Produktivität. Prof. Dr. Martin Junkernheinrich (TU Kaiserslautern) stellte ein Projekt vor, dass den Folgen eines demographischen Phänomens exemplarisch auf den Grund geht - die "Baby-Boomer gehen in Rente". Er wandte sich gegen die Vermutung, dass den finanziellen Mehrbelastungen durch die Alten systematisch Entlastungen bei den Jungen gegenüberstehen. Angesichts des hohen Anteils von jungen Menschen mit Migrationshintergund plädierte er dagegen für erhöhte Bildungs- und Integrationsanstrengungen, nicht zuletzt um den Hoffnungen der Älteren auf einen Pflegeplatz entsprechen zu können. Dr. Thorsten Dietrich hielt ein schwungvolles Plädoyer für Ziele und Kennzahlen im kommunalen Haushaltswesen und empfahl, wo die Überzeugungskraft nicht ausreicht, durchaus Zwangsmittel. Kritische Nachfragen aus der Praxis konnten deshalb nicht ausbleiben. Am Ende des Panels stand wie üblich der kurze Ausblick auf die Produktionstermine bis zum nächsten Workshop, den auch in diesem Jahr für die Herausgeber Dr. Anja Ranscht-Ostwald gab. Das Schlußwort bleib Prof. Dr. Thomas Lenk vorbehalten mit einem besonderen Dank an das unermüdliche Team um Mario Hesse, namentlich Christian Bender, Fabio Botta und Katharina-Sophie Dziurla.

Schon am Freitag-Vormittag hatte die Vorberatung der Länderberichte im Kreis der Länderautoren gezeigt, dass für die Länderhaushalte die kommenden Jahre härter werden und für die Zeit "nach 25" eher düstere Orakel im Raum stehen. Deshalb bot der glanzvolle Abend in der Bundesbank Leipzig willkommene Entspannung, wo der neue
Präsident der Hauptverwaltung Sachsen und Thüringen, Guido Müller, die Konferenzteilnehmer mit einer pointenreichen Begrüßung in beste Stimmung versetzte. Der Abend war nicht nur wieder der gesellschaftliche Höhepunkt der Konferenz, sondern bot auch einen gewissen Ausgleich für jene Teilnehmer, die sich angesichts des umfangreichen Vortragsprogramms mehr Zeit für die Diskussion gewünscht hätten.



Bildeindrücke vom 17. Workshop
(anklicken zum Vergrößern)

17. Workshop in Leipzig:

"Finanz- und Haushaltspolitik im Bundesstaat – neue Dilemmata der Haushaltsgestaltung zwischen Konstitutionalisierung, Bürokratisierung und der Suche nach parlamentarischen Mehrheiten"

Mittlerweile steht das Programm für den nächsten Workshop am 20./21. September 2024 in der Universität Leipzig. Das Programm steht hier zur Verfügung:

Programm 17. Workshop

Alle Unterlagen zur Anmeldung finden Sie hier:

Lehrstuhl Finanzwissenschaft Universität Leipzig


Vorbereitungen für 17. Workshop 2024 und den Band 2-2024 sind angelaufen

Mit der Veröffentlichung des "Call for Paper" hat die Vorbereitung unseres 17. Workshops begonnen. Er wird wieder in Leipzig veranstaltet am 20./21. September 2024. Gleichzeitig gab es damit auch das Startsignal für unseren zweiten Band in diesem Jahr 2-2024.

Call for Paper Juni 2024






Verlag

Das Jahrbuch für öffentliche Finanzen erscheint als Zeitschrift zweimal jährlich im Berliner Wissenschaftsverlag. Es wird betreut vom Lehrstuhl Finanzwissenschaft der Uni Leipzig.
Kontakt: redaktion[at]joefin.de
Projekt

Das Jahrbuch ist ein interdisziplinäres Projekt aus Rechts-, Finanz- und Politikwissenschaft sowie der Verwaltungspraxis. Das Projekt ist unabhängig, ehrenamtlich und wird gefördert von der Bundesbank.
Interesse

Im Vordergrund stehen die Landes- und Gemeindehaushalte sowie die föderalen Finanzbeziehungen.